Jeder zweite wusste schon vor Beginn des Wahlkampfes, wen er wählt
Beitrag von: Hermann Binkert
Wahltage sind wichtige Wegmarken für Meinungsforscher, weil hier Umfragen auf Wirklichkeit treffen. Viel ist im Vorfeld dieser Wahl davon gesprochen worden, dass es sich um eine Richtungswahl handele, manche sprachen sogar von der wichtigsten Wahl seit 1949. Für die große Bedeutung, die man dieser Wahl zusprach und die die Wähler mit einer eindrucksvoll auf 82,5 Prozent gestiegenen Wahlbeteiligung auch bestätigten, war die grundsätzliche politische Stimmung in den letzten Wochen und Monaten recht stabil.
Und so war fast jeder zweite Wähler (48 Prozent) laut unserer Nachwahlbefragung schon vor Beginn des Wahlkampfs entschieden, wen er wählen wird – entweder, weil er Stammwähler einer Partei ist (12 Prozent) oder weil er seine Entscheidung bereits im Vorfeld getroffen hatte (36 Prozent). Interessanterweise liegen die Anteile der sehr sicheren Wähler, die wir jede Woche im INSA Meinungstrend erheben, bei den Bundestagsparteien im Schnitt ebenfalls bei 50 Prozent.
Bei der aktuellen Bundestagswahl 2025 lag die Zahl der Stammwähler bei 15 Prozent der aktuellen SPD-Wähler, jeweils 14 Prozent der aktuellen Unionswähler sowie der aktuellen Grünen-Wähler, elf Prozent der aktuellen AfD-Wähler, zehn Prozent der aktuellen FDP-Wähler und drei Prozent der aktuellen Linkspartei-Wähler. Die Zahl derjenigen, die sich als Stammwähler einer Partei sehen, ist überschaubar geworden.
Auch der Anteil der Wähler, die sich bereits vor Beginn des Wahlkampfs entschieden haben, wen sie bei der Bundestagswahl wählen, ist zwischen den Wählern der Parteien sehr unterschiedlich. Jeder zweite AfD-Wähler (47 Prozent) hat sich schon vor Beginn des Wahlkampfs entschieden, aber nur ca. jeder dritte Wähler von SPD (30 Prozent), Bündnis90/Die Grünen (32 Prozent), Linkspartei (32 Prozent), CDU/CSU (36 Prozent), BSW (35 Prozent) und noch einmal mehr bei der FDP (38 Prozent).
58 Prozent der AfD-Wähler wussten also schon vor Wahlkampfbeginn, wen sie wählen würden, aber nur 36 Prozent der BSW-Wähler. Das zeigt, wie viel wichtiger der Wahlkampf und die Wahrnehmung im Wahlkampf für das neu gegründete BSW im Vergleich zur zwölf Jahre alten AfD war.
Gut jeder vierte Wähler (26 Prozent) entschied sich mehr als eine Woche vor der Wahl für die Partei, die er dann am 23. Februar 2025 gewählt hat.
Weitere 24 Prozent der Wähler haben sich erst in der letzten Woche vor der Wahl (14 Prozent) oder sogar erst am Wahltag (9 Prozent) selbst entscheiden, bei wem sie ihr Kreuz machen.
Dass insgesamt jeder elfte Wähler erst am Wahlsonntag entscheidet, bedeutet, dass der Anteil unter denjenigen, die keine Briefwahl gemacht haben, sondern im Wahllokal ihre Stimme abgeben, noch deutlich höher sein muss.
Der „Fallbeileffekt“, den Umfragen auslösen können, ist oft beschrieben worden. Manche Wähler stimmen nicht für eine Partei, weil sie annehmen müssen, dass ihre Stimme „verloren“ geht, wenn die eigentlich persönlich favorisierte Partei an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Meinungsforscher tragen besondere Verantwortung, weil ihre Umfragen Einfluss auf Wahlergebnisse haben können. Es ist deshalb gut, dass nach Wahltagen evaluiert wird, wie gut Umfragen die Stimmung gespiegelt haben. Die Werte unserer letzten Vorwahlumfrage wichen im Schnitt nur um 0,67 Prozentpunkte vom vorläufigen amtlichen Endergebnis ab und waren damit sogar genauer als die ARD-Prognose um 18:00 Uhr.
Die Zeitenwende in der politischen Stimmung unseres Landes, dass die CDU/CSU bei dieser Wahl mit Abstand stärkste politische Kraft würde, dass die AfD an zweiter Stelle käme und sowohl deutlich vor der SPD als auch Bündnis90/Die Grünen ins Ziel käme, war schon lange vorher klar. Auch die Wählerwanderungen, nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen den „Lagern“, waren schon lange absehbar.