Berlin (dts Nachrichtenagentur) - Im Zuge der geplanten Reform des Gesundheitswesens ist Streit um das Recht auf freie Arztwahl für Patienten entbrannt. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, sagte der "Bild am Sonntag", er sei gegen die Pläne der Regierung, ein verbindliches Primärarztmodell einführen zu wollen. Es sieht unter anderem vor, dass Patienten in der Regel erst bei medizinischer Notwendigkeit von ihrem Haus- oder Kinderarzt an Fachärzte überwiesen werden können.
"Wenn ein verpflichtendes Primärarztsystem käme, in der reinen Lehre, dann gibt es logischerweise keine freie Arztwahl mehr. Das ist ein weiterer Grund, warum ich nicht wirklich glaube, dass die Politik das so umsetzen wird, weil wir aus vielen Befragungen wissen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen gerade die Freie Arztwahl sehr schätzt", sagte der Mediziner der "Bild am Sonntag".
Die Co-Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Nicola Buhlinger-Göpfarth, widerspach: Die Patienten hätten "weiterhin die freie Wahl, was ihren Hausarzt angeht, und auch die freie Wahl, was ihren Facharzt angeht", sagte sie der Zeitung. "Sie haben nur nicht mehr die freie Wahl, welche Facharztgruppe sie jetzt aufsuchen. Das wird gemeinsam in der Hausarztpraxis entschieden."
Buhlinger-Göpfarth hob hervor, dass trotz Ärztemangels die Hausärzte mit mehr Patienten zurechtkämen. "Wir haben neue Zahlen vom Zentralinstitut der Kassenärztlichen Versorgung, dass wenn man das jetzt umsetzen würde, würde es heruntergebrochen auf die Praxen bedeuten: zwei bis fünf zusätzliche Kontakte am Tag. Und da sage ich Ihnen als Hausärztin, das ist ein Versprechen: Das machen wir."
Generell seien Patienten in einem Hausarztprogramm besser versorgt. "Und zwar insbesondere dann, wenn sie chronisch erkrankt sind. Wir können zeigen: Diabetiker haben, wenn sie an einem Hausarztprogramm teilnehmen, weniger Amputationen, weniger Erblindungen, weniger Krankenhauseinweisungen", so Buhlinger-Göpfarth.
Kassenärzte-Chef Gassen findet ein verbindliches Primärarztmodell nur für bestimmte Patientengruppen sinnvoll. Das Primärarztmodell könne funktionieren, "wenn es sich um ältere multimorbide Patienten handelt, also Menschen, die verschiedene Erkrankungen haben, aus unterschiedlichen Bereichen, wo zum einen eine ordnende Hand im Sinne der hausärztlichen Praxis notwendig ist, um alle Befunde zusammenzuführen und wo auch gezielt zu fachärztlichen Kollegen überwiesen werden kann", sagte er der "Bild am Sonntag".
Eine pauschale Altersgrenze, ab wann das Modell sinnvoll sei, gebe es nicht. Doch: "Ungefähr ab 50 macht es Sinn. Da sind relativ viele schon mit irgendwelchen Zipperlein in ärztlicher Behandlung."
Eine Eigenbeteiligung für Patienten, die sich nicht im Gesundheitssystem steuern lassen wollen, schloss Gassen nicht aus: "Ich glaube, dass man Menschen, die sich zukünftig sozusagen in jedweder medizinischen Steuerung entziehen, dass man sie mit Eigenbeteiligungen an den dann möglicherweise höheren Kosten beteiligt. Nehmen wir an, wir haben Menschen, die gehen nicht zum Hausarzt, die wollen sich auch nicht über die 116 117 medizinisch beraten lassen und suchen sozusagen den Facharzt Ihres persönlichen Wunsches auf, dann muss man vielleicht tatsächlich über Eigenbeteiligung nachdenken."